- Meinung
Technologieoffenheit und ihre Grenzen
Über die Herausforderungen der Mobilitätswende zwischen Marktlogik, Planungssicherheit und politischer Verantwortung.

In a nutshell: Wir brauchen mehr Technologieoffenheit in Deutschland! Gebetsmühlenartig wiederholt in Print- und sozialen Medien, sowie als Rundumkeule in sämtlichen Politik-Talkshows und auf diversen Veranstaltungen. In den Mixer wird meist noch im gleichen Atemzug der Bürokratie-Abbau geworfen. Garniert mit der Sahnekirsche „Der Markt soll entscheiden!“ Zack. Fertig ist die Applaus-Rezeptur. Klatsch-Bait sozusagen. Denn im Grunde kann sich jeder damit committen, oder? ODER? Ich muss gestehen, ich habe Probleme mit dieser Mainstream-Forderung. Und das will ich in diesem Kommentar erörtern.
Ich zucke immer zusammen, wenn mir die pauschale Forderung nach Technologieoffenheit entgegen schwappt. Nicht, weil ich sie für grundsätzlich verkehrt halte. Ich halte Technologieoffenheit für eminent wichtig. Aber dazu später mehr. Was mich in diesem Zusammenhang fragend zurücklässt (und das nicht erst seit gestern) ist die gleichzeitige Forderung nach mehr Planungssicherheit. Wie geht das zusammen? Technologieoffenheit und Planungssicherheit. Das ist schon ein Spannungsfeld. Schauen wir uns das mal ein bisschen genauer an.
Disclaimer: Ich werde mich der Forderung nach mehr Technologieoffenheit auf Basis meiner Erfahrungen aus und in der Logistik nähern. Soll heißen: Auf Basis der Gespräche, Interviews, Podcast, Key-Notes, Panel-Diskussionen. Also anekdotische Evidenz. Gleichzeitig mixe ich diese Erfahrungen mit (bundes)politischen Aussagen und etwaigen Wahl- und Parteiprogrammen. Dennoch glaube ich, dass die Erfahrungen und somit auch der diesen Erfahrungen zugrunde liegende Kommentar adaptierbar sind für viele andere Branchen.
Technologieoffenheit - Find ich gut.
Technologieoffenheit kann vieles bedeuten. Bspw. kann sie als Gegenkonstrukt zu Verboten verstanden werden. Die Diskussionen rund um die Kernenergie sind hier ein gutes Beispiel. Die generelle Forderung nach Offenheit gedieh und gedeiht im Grunde genommen auf konservativ-neoliberalen Nährboden und erfährt über die Grenzen dieses Milieus hinaus gute Resonanz. Wahrscheinlich liegt es auch an die damit verbundene Verbotsangst und Freiheitseinschränkung, weswegen das Narrativ der Technologieoffenheit so monstranzartig durch alle Kirchen geschoben wird. Leider aber viel zu oft zu undifferenziert. Auch dieses Terrain könnte man mal differenziert auseinanderdividieren und einordnen. Und vielleicht mach ich das auch mal in einem weiteren Kommentar.
Fokussieren möchte ich mich in diesem Kommentar auf den Teil der Technologieoffenheit, der ein anderes Feld beackert. Nämlich die unsichtbare Hand des Marktes, die bei einer größtmöglichen Technologieoffenheit im evolutionären Sinne die „beste“, verfügbare Technologie zum Sieg steuert. Das ist aber leider mit einem Spannungsfeld verbunden, was ich an einem expliziten Beispiel erläutern will, welches mich auch dazu veranlasst hat, diesen Kommentar zu verfassen: Die Mobilitätswende in der Transportlogistik.
Elektro oder Wasserstoff? HVO? Was denn nun? Oder alles? Kombinationen dessen? Die Gretchenfrage also, die uns in der Transportlogistik seit Jahren umschleicht. Wie der aktuelle Status aussieht, welche Technologien Vor- und Nachteile haben, wer das „Rennen machen wird“, … Darum wird es jetzt nicht gehen. Sorry. Wir schauen uns das Wirken der unsichtbaren Hand des Marktes an und welche Implikationen sich daraus ergeben.
Hierauf gibt es nämlich unterschiedliche Perspektiven. Die Sicht der:
- OEMs,
- der Branchenführer und
- der Logistikdienstleister / Speditionen.
Aus OEM-Sicht (Scania, Daimler, Volvo / Renault, etc.) - also die Unternehmen, die neue Antriebstechnologien für die Lkw letztlich erforschen, entwickeln und am Markt anbieten - ist eine Technologieoffenheit bis zu einem gewissen Zeitpunkt absolut richtig und wichtig. Das ist unterm Strich das, was Innovation ausmacht und bietet. Kostet aber auch Geld und erfordert Mut. In Summe geht es in der frühen Phase der Technologieoffenheit um die Beantwortung der Frage: Wie sieht die Welt der Zukunft aus und wie ist unsere (aus Unternehmenssicht) Antwort darauf? Das ist das Herzstück von Zukunftsdenken und Innovation. Unternehmen, deren Ziel es ist (wichtig: nicht nur auf dem Papier, sondern gelebte Praxis), in einer zukünftigen Welt relevant zu bleiben, widmen sich genau dieser Aufgabenstellung.
Aus Branchenleader-Sicht (in der Logistik sind das DHL, DB Schenker, DSV, etc.) - also Unternehmen, die in einer Branche einen Führungsanspruch besitzen (hinsichtlich Umsatz und Mitarbeiteranzahl) - ist eine Technologieoffenheit bis zu einem gewissen Zeitpunkt ebenfalls absolut richtig und wichtig. Und zwar aus genau dem gleichen Grund wie bei den OEMs. Sie wollen Marktmacht behalten und verteidigen.
Was die OEMs und die Branchenleader eint: sie verfügen auch über die finanziellen Mittel und das Humankapital. D.h., sie haben sowohl ein gewisses finanzielles Backbone sowie die Kapazitäten und (größtenteils) Fähigkeiten, welches zum Ausprobieren und Erforschen in der Technologieoffenheit anregt und genutzt werden kann.
Im Gegensatz dazu gibt es unglaublich viele „Hidden Champions der Logistik“ und kleinere Logistikdienstleister / Speditionen, die quasi einen absolut nicht zu verachtenden Großteil der täglichen Arbeit auf den Autobahnen, Schienen, Luft- und Seewegen Deutschlands und Europas „verrichten“, und die im gesamt-deutschen Schnitt einen Fuhrpark von 10 Lkw haben. Sagt mir die KI. Und das bei ca. 15.000 Speditionen in Deutschland. Das sagt mir Statista (für das Jahr 2023). Diese Unternehmen haben auch ein Interesse in Zukunft relevant zu sein. Aber…
Neben dem Fakt, dass die Logistik seit jeher eine margen-getriebene Branche und - daraus resultierend - chronisch klamm ist, verfügen die Speditions-Unternehmen nicht ein über Jahre angehäuftes FC-Bayern-artiges Festgeldkonto, welches Investitionen in eine mögliche Zukunft ohne Weiteres ermöglicht. Die Relation von verfügbarem Kapital zu Wirkung ist naturbedingt viel größer als bei den Branchenführern. Jede größere Investition wird im Grunde 10-mal umgedreht und muss bomben-sicher sein, da es ansonsten eine tiefgreifende Wirkung haben könnte. Fehlinvestitionen führen auf diesem Niveau direkt zum Worst-Case Szenario. Und hier sind wir direkt bei dem Thema der Planungssicherheit angekommen.
Denn wie soll man einem solchen Unternehmen vermitteln, dass es zutiefst risikofreudig in eine noch nicht ausgefochtene Zukunft - wegen Technologieoffenheit - investieren soll? Und das ggf. zwei- oder mehrgleisig, wie es die OEMs und die Branchenführer machen können. Klar. Alle Unternehmen brauchen Planungssicherheit, kleinere Unternehmen in der Regel aber mehr, denn die Relation von Risiko zu Auswirkung ist weitaus größer. Sie können Risiken auf diesem Niveau nicht ausgleichen. Insofern muss der „Business Case“ sicher sein und darf keinen Schwankungen unterliegen. Und das über Jahre. Bzw. müsste es richtiger heißen: Das Risiko muss handhabbar sein. Und zwar am besten so, dass das Worst-Case Szenario keine oder eine bestmöglich niedrige Wahrscheinlichkeit mit sich trägt. Wie hoch die akzeptierte Wahrscheinlichkeit ist, hängt letzten Endes immer an den Präferenzen des Entscheidungsträgers / der Entscheidungsträgerin: Wie viel Risiko ist er/sie bereit zu gehen? Denn am Ende ist das Setzen auf neue Technologien immer eine Wette auf die Zukunft.
Und hier sind wir bei der Essenz des Problems. Neue Technologien benötigen immer einen Anschub in den Markt hinein. Skaleneffekte sind eben erst dann da, wenn Skalen Effekte haben (Hui. Diesen Satz möchte ich gerne patentieren!). Die kommen nicht einfach so zustande. Vor allem nicht, wenn in einem bestehenden Markt alte, etablierte Technologien disruptiert werden (müssen). Das bedingt einer Zukunftsvision. Und diese muss über alle Instanzen geteilt werden.
In unserem Mobilitätswende-Fall bedeutet das eine Problematik auf zwei Ebenen:
- Die politische Ebene
- Die unternehmerische Ebene
Die politische Ebene: Der Markt regelt das schon; ich halt mich raus!
Der Elefant im Raum. Und ja, das hier ist ein Kommentar, insofern wird nun ein bisschen auf die Politik gerantet. Denn Technologieoffenheit ist ein politischer Kampfbegriff. Neben Bürokratieabbau. Und „Der Markt soll entscheiden“. Das politische Triptychon, welches auf der politischen Buzzword-Klaviatur rauf und runter gespielt wird.
Gleichzeitig will (und muss) die Politik die hiesigen Industrien und somit die Arbeitsplätze schützen. Ebenfalls ein nicht ganz leicht aufzulösendes Spannungsfeld. Immer wieder höre ich in diesem Zusammenhang die Dystopie des „Technikimporteurs“ (Abwandern von Technologien), welches volkswirtschaftliche Abhängigkeiten mit sich bringt, die wir nicht wollen. So weit so gut und verständlich. Und die Forderung dieses zu vermeiden, wird eigentlich immer in Verbindung gesetzt mit der eigenen Technologieoffenheit und Innovation. Technologischer Fortschritt braucht Innovationsgeist. Nur dadurch lässt sich das Drohszenario abgehängt und abhängig zu werden abwenden. Auch das ist verständlich. Aber hier beginnen auch meine Probleme.
Grundsätzlich stimmt diese Formel. Aber entlang der Entwicklungskurve halt dann ab einem Punkt eben nicht mehr. Wenn es um Problemstellungen geht, die mit Technologie gelöst werden können und sollen, dann ist eine Offenheit bei der Grundlagenerforschung und der Testphase mit Sicherheit eine absolut richtige und wichtige Strategie. Fail fast and learn. Hierbei geht es ja darum unbekannte Variablen vorwärts irrend zu validieren, um so das Risiko einer strategischen Entscheidung mit Fakten zu untermauern.
Übrigens: Hierbei kommt der Politik noch eine zusätzliche Rolle zu, die ich ggf. an anderer Stelle ebenfalls in einem weiteren Kommentar aufnehmen möchte. Nur so viel: Dass die Politik sich vollends aus dem Innovationsraum rausziehen soll, so wie es die Neoliberalen und die Tech-Giganten aus Übersee (Thiel, Musk, etc.) fordern, halte ich für nicht gesund.
Es kommt der Punkt, an dem die Technologieoffenheit in der Vision aufgehen und (wichtiger:) in einer Mission münden muss, die zum Handeln führt. Problem >> Vision >> Technologieoffenheit >> Mission >> Action!. So könnte man es zusammenfassen. In einigen Fällen, wie in der Mobilitätswende, kann die Technologieoffenheit nicht Bestandteil der Mission sein. Und genau hier muss die Politik unterstützen. An der Schnittstelle von Umwelt-, Technologie- und Wirtschaftspolitik.
Disruptive, neue Technologien haben in der Regel den Nachteil mit einem Rucksack am Markt zu starten. Dieser Rucksack äußert sich in höhere Kosten. U.a. deshalb, weil die bereits angesprochenen Skaleneffekte nicht existieren. Dieses Technologieoffenheits-Rennen dann ausschließlich den Marktmechanismen zu überlassen, bedeutet im Umkehrschluss ein „ungleiches Rennen“ mit unterschiedlichen Vorzeichen, was wiederum dazu führt, dass neue Technologien ihre Zeit brauchen. Eine kritische Masse an Interessenten und Käufern zu erreichen, ist ein langwieriger Prozess. Von Early Adoptern zum Massenmarkt: Das wird der Markt auch regeln, und davon bin ich auch überzeugt. Die Frage ist nur: Wann?
Und genau dieses „Wann“ kann durch politische Maßnahmen gesteuert werden - und ich füge hinzu: muss in gesellschaftlich und volkswirtschaftlich wichtigen Dingen durch politische Maßnahmen gesteuert werden. Wenn es also eine Zukunftsvision gibt, die durch Technologieoffenheit validiert, und in eine Mission mündet, dann ist es auch zwingende Aufgabe der Politik diese Mission über eine Legislaturperiode hinaus zu fördern und das Handeln anzuregen. Vor allem im Nachhaltigkeitskontext ist das nochmal eine wichtigere Aufgabe, da die externalisierten Kosten im Marktmechanismus Stand heute ausgeklammert sind; es fehlt eine systemische TCO-Betrachtung (Total Cost of Ownership). Somit ist es von Grund auf noch schwieriger für nachhaltigere Lösungen sich am Markt durchzusetzen. Politisch gewollte, volkswirtschaftliche Instrumente wie ein CO2-Preis sollen genau aus diesem Grund dem entgegenwirken.
Was bedeutet das für unsere Mobilitätswende - Vom Allgemeinen zur Logistik
Die aktuelle Situation gleicht dem bekannten Henne-Ei-Problem. OEMs haben E-Lkw und/oder Wasserstoff-Lkw im Angebot (HVO nehme ich der Einfachheit halber raus, denn hierfür wird kein neuer Lkw benötigt und kann als Brückentechnologie wunderbar funktionieren, was auch wiederum politisch motiviert auf die Agenda gehört). Diese Lkw sind aber aktuell teurer als ihre Diesel-Pendants: E-Lkw 2- bis 2,5-mal, Wasserstoff kosten noch mehr. Treibstoff-Kosten und -Verfügbarkeit klammern wir ebenfalls mal aus, gehören aber natürlich in die Wirtschaftlichkeitsberechnung jedes Käufers.
Für Branchenleader wie (aber vor allem) auch für die Speditionen stellt sich die Frage bei der Investition nach der Planungssicherheit. Auf welche Technologie soll ich setzen (für welchen Case)? Gepredigte Technologieoffenheit verkompliziert eine Entscheidungsfindung. Die Planungssicherheit ist für den ROI ausschlaggebend. Wenn sich der ROI aufgrund zu hoher Kosten nicht trägt und des Weiteren diese Kosten nicht ausreichend (und ökonomisch vertretbar und sinnvoll) durch politische Maßnahmen ausgeglichen werden, dann wird auch nicht investiert. Das ist dann normales unternehmerisches Handeln. Simple as that. Wenn zudem noch pro Legislaturperiode ein Zick-Zack-Kurs hinzukommt, dann ist eine Planungssicherheit nicht gegeben.
Somit beobachten wir gerade eine leider zu oft auftretende Pattsituation: Die Unternehmen kennen die Zukunftsszenarien, wissen auch über die Transformation, investieren aber nicht in einem größeren Stile aufgrund fehlender Planungssicherheit. Meist werden 1 bis 2 Test-Lkw gekauft, damit sie sich schon heute mit der Zukunftstechnologie auseinandersetzen.
Die OEMs produzieren wiederum nicht im großen Stile (Angebot), da die Nachfrage danach (noch) nicht hoch genug ist, was u.a. auch dazu führt, dass Lieferzeiten lang sind (es wird besser). Auch sie kennen die Zukunftsszenarien, wissen über die Transformation, und haben Antworten auf die Herausforderungen gefunden. Allerdings lassen sich eben nicht Skaleneffekte aufgrund einer auf Planungssicherheit basierenden Nachfrage erzielen, weswegen der Preis so ist, wie er ist. Dilemma!
Ich sag es nochmal: Eine solche Pattsituation wird der Markt von selbst regeln. Allerdings von allein nicht in der Geschwindigkeit, wie es die Vision erfordert. Der Anschubser in den Markt hinein muss gemeinschaftlich über alle Instanzen hinweg, vor allem aber auch unter Förderung der Politik mit Blick auf die zu erreichende Vision (=Mobilitätswende), gestemmt werden. Etablierte Förderungen und Subventionen zu streichen im Sinne der Technologieoffenheit hat genau den gegenteiligen Effekt. Zumindest eine gewisse, aber dennoch zu lange Phase lang.
Das ist kein Plädoyer für eine über Jahrzehnte hinweg zu zahlende Förderung. Grundsätzlich sollte eine Förderung und Subvention von neuer Technologie zeitlich begrenzt sein, da sie ansonsten paradoxerweise Innovationen hemmt, die zu weiteren Kostenreduktionen führen könnten. In diesem Zusammenhang fällt mir immer das Kerosin ein, denn der kommerzielle Kerosinverbrauch ist nach der Gesetzgebung aller Mitgliedstaaten der EU steuerbefreit. Seit 1944. 1-9-4-4! Diese Befreiung wurde im Chicagoer Abkommen festgelegt und eingeführt, um einen fairen Wettbewerb zwischen den Fluggesellschaften zu gewährleisten. Die Motivation ist zwar eine andere, der Effekt aber der gleiche.
Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang die Herausforderung bei der Infrastruktur. Denn neben der reinen Lkw-Investition geht es natürlich auch um die Frage der Tank-Infrastruktur. Bei HVO ist diese Thematik deutlich leichter zu beantworten als für Wasserstoff und vor allem für E-Mobilität. Auch hier ist eine „der Markt wird es schon richten“-Strategie zu früh gedacht. Aber das noch zusätzlich aufzudröseln würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen.
Eine kurze Geschichte der Solar-Industrie
Abschließen möchte ich die politische Ebene mit dem Drohszenario des Abwanderns von Technologie anhand des Beispiels der „Solarindustrie“. Und ja, ich weiß, dass das Äpfel und Birnen sind. Die Historie der Solarwirtschaft in Deutschland hat andere Charakteristiken als die Mobilitätswende in der Logistik. Dennoch möchte ich die Korrelationen aufzeigen von politischen Einfluss durch Handeln und Nichthandeln auf Zukunftstechnologien.
Im Jahr 2000 führte die rot-grüne Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ein. Die Geschichte dahinter ist komplex (und spannend), und kann ich im Detail hier nicht nacherzählen. Nur so viel: Nachdem der EEG-Strom aus einer Nische von 5% hervorgegangen war, eroberte er bis 2009 einen Marktanteil von 16%. Insbesondere die Photovoltaik erhielt erhebliche Subventionen und löste einen Solarboom aus. Allein von 2009 bis 2012 verdreifachte sich die Solarstromkapazität in Deutschland von 10.500 auf 34.000 Megawatt.
Deutschland galt (und gilt teilweise im Ausland noch heute) als Vorreiter in Sachen Erneuerbare Energien. Eine Erfolgsgeschichte, die auch eine eigene Industrie mit sich zog. Die Technologie (nebenbei: gilt auch für Windräder) kam aus Deutschland. Allerdings kennen wir alle die Entwicklungen. Der Anfang vom Ende war eine in Windeseile verabschiedete Verordnung, die Anfang 2010 in Kraft trat, die dazu führte, dass EEG-Strom an der Börse gehandelt werden durfte. Dies führte wiederum dazu, dass die Kosten für die Bürger bis 2012 so stark gestiegen sind, dass der damalige Umweltminister Peter Altmaier begann, das System zu deckeln. Letztendlich brach u.a. dadurch die Solarindustrie zusammen.
Der Mythos der grundsätzlich teureren Erneuerbaren Energien hält sich erstaunlicherweise bis heute, wenngleich ich immer mehr Solarpaneele auf Deutschlands Dächern sehe. Gepusht durch Nachbarschaftseffekte. Jemand baut sich Paneele aufs Dach, erzählt seinen Nachbarn wie sehr das für ihn ökonomisch Sinn macht, die anderen machen es ihm nach. Ja ja, die teuren Erneuerbaren. Und ein Beweis dafür, dass der Markt regelt.
Aber interessant hierbei ist die Frage, woher die Paneele heutzutage kommen, wenn die Solarindustrie in Deutschland zusammengebrochen ist. Sie kommt nämlich aus China. Die Chinesen haben das Technologie Know-How aus Deutschland quasi importiert, weiterentwickelt und die Skaleneffekte erwirkt. Das wiederum nutzen sie nicht nur für den Ausbau der Photovoltaik in China selbst. Sie sind heute führender Exporteur dieser Technologie.
Die Frage, nach dem Warum und Wie die Chinesen das machen ist einfach zu beantworten: Weil China eine Vision und eine Mission hat (Auszug aus dem industriepolitischen Masterplan „Made in China 2025" von 2015):
„Im Rahmen von "Made in China 2025" verfolgt China das Ziel, Weltmarktführer in der Solarenergie zu werden – technologisch, industriell und ökonomisch. Der Fokus liegt auf Innovationsförderung, Skalierung, Exportorientierung und ökologischer Transformation. Die Strategie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass China heute über 80 % der globalen Produktionskapazitäten für Solarmodule kontrolliert.“
Uff! Vielleicht tue ich der deutschen Politik nun unrecht, aber so ein Statement aus irgendeiner Partei habe ich noch nie gehört. Jan Hegenberg hat das mal wie folgt zusammengefasst: „Solange die fossilen Lösungen künstlich billig gehalten werden, machen wir es den Start-Ups und Erfolgsfirmen besonders schwer. Wer an veraltetem Blödsinn festklebt, verhindert ja gerade Innovationen oder verdrängt ihre Erfolgsgeschichten ins Ausland.“
Und versteht mich jetzt bitte nicht falsch. Ich möchte nicht die chinesische Politik mit diesem Beispiel glorifizieren. Es gibt viele Dinge, die ich kritisch sehe. Was ich aber damit sagen möchte, ist, dass das Abwandern von Technologien immer zwei Seiten hat: Die Seite, die abgibt (in diesem Fall politischer Unwille in Kombination mit fossilen Interessen in Deutschland) und die Seite, die nimmt (in diesem Fall politischer Wille in China). Und dieser politischer Wille basiert auf eine Vision und eine Mission gefolgt von Handeln.
Die unternehmerische Ebene: Short-termism oder der Blick auf das nächste Quartal
Zum Schluss müssen wir noch auf die unternehmerische Ebene eingehen. Denn zur Gesamt-Story gehört auch die gefühlt abnehmende Zukunftsfähigkeit und -auseinandersetzung der Unternehmen.
An innovativen Ideen mangelt es nämlich in Deutschland und in den meisten Organisationen nicht. Wir haben immer noch sehr gut ausgebildete Fachkräfte. Ich erlebe es fast täglich, welche gute Ideen in den Köpfen deutscher Ingenieure rumgeistern. Ihnen fehlt lediglich ein tragfähiger Weg bis an den Vorstandstisch. Die immer noch unausgesprochene Kehrseite ist, dass wir zusehends eine abnehmende innovations- und risikofreudige Kultur beobachten. Nicht in allen Unternehmen, aber in vielen.
Sorry, liebe deutsche Unternehmen. Ich weiß, dass ich mit dieser Aussage euch allen auf den Schlips trete. Aber im weltweiten Vergleich stinken wir halt als dritt-größte Volkswirtschaft der Welt ein wenig ab. Das ist nicht anekdotisch. Das ist belegt. Lt. dem Global Innovation Index liegt Deutschland mittlerweile auf dem 9. Rang. Hinter der Schweiz (1.), Schweden, USA, Großbritannien, etc.
Aber warum ist das so? Viele Unternehmen tun sich schwer etablierte Prozesse und erfolgreiche Produkte in Frage zu stellen, gleichzeitig aber den Stolz auf das bisher Erreichte nicht zu verlieren, um sich daraus aus der Reflexion dann neu zu erfinden. Interessanterweise sind nämlich oftmals genau die Stärken, die ein Unternehmen erfolgreich gemacht haben, wiederum genau die Gründe, warum ein Unternehmen in eine Krisenzeit schlittert. Beispiele gibt es zuhauf (Nokia, Kodiak, etc.).
Ich will aber auf die Grundlage für dieses allgemeine Phänomen hinaus: Das kurzfristige Denken oder Short-termism. Kurzfristiges Denken, auch bekannt als „Quartalskapitalismus“, bezeichnet die Praxis, kurzfristige Ergebnisse und Gewinne gegenüber langfristigen Investitionen und Nachhaltigkeit zu priorisieren. Unternehmen konzentrieren sich auf die unmittelbaren Gewinne, und das zumeist auf Kosten der strategischen Planung.
Das ist natürlich pauschalisiert und ebenfalls nicht in allen Firmen der Fall. Klassische Familienunternehmen, die bestrebt daran sind, dass das Unternehmen in Jahren noch existiert, zeigen häufiger die gut ausbalancierte Ambidextrie, kurz- und langfristig zu denken und strategisch zu handeln. Bei Aktiengesellschaften ist diese Balance weniger ausgeglichen. Die Konsequenz daraus ist, dass eine Unternehmensvision fast 1:1 gleichzusetzen ist mit einer Wachstumsstrategie. Dabei ist das Wachstum nicht das Resultat aus dem unternehmerischen Handeln, sondern die Vision selbst.
Das Resultat daraus ist, dass sich Zukunftsfähigkeit zurückentwickelt hat. Dabei geht es nicht um die Vorhersage von Zukunft, sondern um die Vorausschau, die mögliche Zukünfte (Zukunft ist immer plural!) prüft und antizipiert. Das ist eine Fähigkeit, die wir gesamtgesellschaftlich, vor allem politisch aber eben auch unternehmerisch weitestgehend verloren haben. Die Auseinandersetzungen mit möglichen Zukünften und die Implikationen daraus finden immer weniger statt. Das Konsumieren von Trendradaren und -analysen ist hierbei schon das höchste der Gefühle. Die Auseinandersetzung mit Zukünften basiert heutzutage fast ausschließlich auf zahlengetriebene Prognosen (CAGR, etc.).
Heutige Führungskräfte sind daher eher in dieser Hinsicht ausgebildet, da die Erreichung der nächsten Quartalsziele - vorgegeben durch Wachstumspfade - das primäre Ziel fast aller wirtschaftlichen Aktivitäten ist. Und das wiederum führt dazu, dass in zu vielen Organisationen die Führungskräfte nach Garantien suchen, dass die Ergebnisse positiv sein werden, bevor sie etwas Neues testen oder in etwas Neues investieren. Beweise zu fordern ist aber der Feind des Fortschritts. Heutzutage scheint es, dass ein bequemerer Weg mit der Hoffnung auf unendliches Wachstum für bereits entwickelte Produkte bevorzugt wird. Mangelnder Innovationsgeist und fehlende Risikobereitschaft wurden durch illusionäre Wachstumshypothesen kompensiert.
Die Quintessenz aus all dem ist, dass zwei Welten aufeinandertreffen und eine Pattsituation provozieren - Henne Ei halt: Die (aktuelle) Politik proklamiert Technologieoffenheit im Sinne der unsichtbaren Hand und die Unternehmensseite fordert mehr Planungssicherheit und Unterstützung bei gleichzeitig überschaubarer Innovations- und Risikofreudigkeit. Wir beobachten also das Phänomen, dass diese Pattsituation sich nicht in Geschwindigkeit ummünzt. Und so debattieren wir uns auf den Plattformen dieser Welt um echte wirksame Handlung herum, und hauen uns die Buzzword-Forderungen um die Ohren.
Fazit
Was mich stört sind undifferenzierte Auseinandersetzungen von vielschichtigen und komplexen Themen, die nicht klar schwarz-weiß zu trennen sind. Diese Vielschichtigkeit wird in der Regel mit Kampfbegriffen runtergedampft, um Gratis-Applaus zu ernten, anstatt den Diskurs zu suchen. Eine Entwicklung, die ich sehr kritisch beobachte. So geschieht es dieser Tage mit u.a. den Pauschalforderungen nach Technologieoffenheit.
Grundlagenforschung mit maximal möglicher und sinnvoller Technologieoffenheit erzeugt theoretisches Wissen, das seinerseits Techniken erzeugt, die dann zu verschiedenen praktischen Anwendungen führen, welche ihrerseits Wirtschaftswachstum und andere Angelegenheiten von anerkanntem öffentlichem Interesse zur Folge haben. Helmut Schmidt sagte mal: „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.“ Das ist die gute Seite der Offenheit.
Um aus dieser Grundlagenforschung neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und zu skalieren, wird Kapital u.a. aus der Industrie entscheidend benötigt (neben Privatkapital). Lt. einer McKinsey Studie sind Stand heute ca. 10% aller Technologien, die 90% der menschenverursachten Treibhausgasemissionen reduzieren können, wirtschaftlich nicht wettbewerbsfähig. 45% benötigen deutliche Kostensenkungen durch Skaleneffekte. Weitere 45% befinden sich in ein frühem Stadium, wo noch weitere Grundlagenforschung von Nöten ist.
Genau an dieser Stelle muss eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Technologieoffenheit erfolgen. Vor allem bei so volkswirtschaftlich und ökologisch wichtigen Transformationen wie bei der Mobilitätswende in der Transportlogistik, die mit einem dringenden Zeitziel verbunden ist, führt eine radikale Offenheit zu einer Dehnung des Transformationszeitrahmens. Der „Markt wird das schon regeln“. Ja, das glaube ich auch. Nur halt eben nicht in der für den Transformationsnotwendigkeit erforderlichen Zeit. Hier bedarf es - und das mögen markt(neo)liberale Denker nun in eine parteipolitische Schublade stecken - einer Steuerungspolitik.
Die Politik muss sich im Grunde genommen durch Steuervorteile, Regelungen und Subventionen sozusagen in Richtung des Kapitals bewegen, so dass die Industrie mit ihrem Investitionskapital das neue Business hochskalieren kann. Skalierung ist genau die Stärke der Wirtschaft. Hierfür ist eine regulatorische Stabilität im Sinne der Planungssicherheit zwingend notwendig, und keine Legislatur-Kehrtwende. Resilienz in Sachen Zukunftsfähigkeit schafft man nicht durch einen Schlingerkurs.
Der Vollständigkeit halber: Natürlich ist von der anderen Seite betrachtet das dogmatisch-ideologische Festhalten an eine Vision und Mission ebenfalls nicht förderlich, wenn die Umgebungsvariablen sich grundlegend verändert haben.
Zusammengefasst auf den Punkt gebracht:
„Wir müssen lernen, auf dem Rand des Chaos zwischen Struktur, Auflösung und transformativer Innovation zu surfen.“ Daniel Christian Wahl
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Kommentar an dem Beispiel der Mobilitätswende in der Transportlogistik erläutern, dass eine Technologieoffenheit zu Transformationsverzögerungen führen kann. Und dass eine differenziertere Betrachtung bezüglich der Technologieoffenheit notwendig ist und eine Pauschalforderung mehr Feuer legt als das es hilft. Ich würde mich freuen, wenn darüber Diskussionen angeregt werden können, die über eine Einordnung in parteipolitische Schubladen und Brandmarkung hinausgehen.
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Hinweis: Dies ist ein Kommentar. Dieser Text erhebt demnach nicht den Anspruch einer journalistischen Recherche und einer mehr objektiven Sicht, sondern repräsentiert meine Meinung, ist also zutiefst subjektiv. Mit diesem Kommentar möchte ich nur zum Denken und Diskutieren anregen. Hast du eine andere Meinung, willst etwas ergänzen oder du hast du einen Fehler entdeckt? Dann schreibe mir gerne!