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WMS, WCS oder WES: Wie entscheide ich mich für das richtige System?

Andreas Löwe

Über den Weg von ersten Lager-Schmerzen bis zur passenden Software-Lösung.

IWML thomann people FU 1670 1

In a nutshell: Wenn im Lager nichts mehr rund läuft, liegt die Ursache oft tiefer, im System selbst. Dieser Beitrag zeigt, wie du aus typischen „Systemschmerzen“ klare Anforderungen ableitest und Schritt für Schritt herausfindest, welches Lager-IT-System wirklich zu deinem Spielfeld passt. Vom Verständnis der Unterschiede zwischen WMS, WCS und WES bis zu praktischen Auswahlkriterien für deinen Entscheidungsprozess.
Diesen Beitrag und viele weitere rund um die Auswahl und Einführung moderner Lager-IT-Systeme findest du im ersten even Report, unserem praxisnahen Leitfaden „State of WxS 2025: Cloud, KI, ROI“. 

Den vollständigen Report kannst du hier herunterladen.

Du erinnerst dich an den Montagmorgen mit den gestauten Paletten, den Picklisten-Zetteln und der flackernden Excel-Notlösung am Leitstand aus dem Vorwort? Genau dort beginnt die Reise zur Systemwahl. Denn jeder dieser Systemschmerzen ist nicht nur ein Ärgernis, sondern ein Wegweiser: Wareneingangsstau, leere Pickplätze, improvisierte Versandlabels zeigen dir, wo dein Setup heute scheitert und was dein neues System morgen leisten muss. 

Stell dir vor, dein Lager wäre ein Spielfeld. Früher hast du mit einem einzigen Ball gespielt; heute jonglierst du mit fünf: E-Commerce-Peaks, Same-Day-Versand, Retourenflut, neues Automatikregal, Filialbelieferung. Der alte Ball aus den Nullerjahren, das monolithische WMS, das ein Jahr Custom-Coding brauchte, passt da nicht mehr. Zum Glück ist die Softwarewelt agiler geworden: Cloud-Abos statt Serverkauf, vorkonfigurierte Templates statt Pflichtenheft-Roman, MVP-Go-Live in Wochen statt Big-Bang nach Jahren. 

Doch genau diese Vielfalt macht die Auswahl tricky. Welches WxS passt wirklich zu deinem Spielfeld? Das ist keine Raketenwissenschaft, aber auch kein Bauchgefühl. Es beginnt mit einem ehrlichen Blick auf deine Schmerzen: Wo bremst dich das alte System? Welche Prozesse müssen morgen skalieren? Und wie viel IT-Rucksack traust du euch überhaupt zu? 

Komm wir nehmen dich an die Hand: Wir übersetzen deine Alltagsschmerzen in handfeste Kriterien, verraten, wie du zwischen Standard und Custom abwägst, warum offene Schnittstellen dein bester Freund sind und weshalb heute kein Entscheidungsmarathon mehr nötig ist, um ein System zu finden, das mit dir wächst, statt dich auszubremsen. Packen wir’s an: vom Schmerz zum passenden System, in klaren, pragmatischen Schritten, die auch montagmorgens funktionieren. 

WMS, WCS oder WES: Was wird wirklich gebraucht? 

Du sitzt nun mit deinem Team im Pausenraum. Vor euch liegt eine Liste der letzten Lagerpannen: rückgestauter Wareneingang, leere Pickfächer, überlastete Packplätze. Alle blicken dich an: „Welches System rettet uns jetzt – WMS, WCS, WES … oder reicht doch das alte ERP?“ 

Genau an diesem Tisch beginnt die Reise. Bevor ihr euch in Anbieter-Demos verliert, gilt es, euer Spielfeld zu kartieren: 

  • Geht’s in erster Linie um Bestände & Prozesssteuerung? Dann steuert ein WMS das Spiel.
  • Müssen zusätzlich Regalbediengeräte, Fördertechnik oder Roboter im Takt laufen? Dann braucht ihr einen Materialflussregisseur – ein WCS oder ein WMS mit integriertem WCS-Modul.
  • Wollt ihr Aufträge in Echtzeit jonglieren, Prioritäten dynamisch umschalten, Peaks weichbügeln? Dann ergänzt ein WES als Orchester-Dirigent die bisherigen Systeme. 

Erst wenn ihr diese Frage ehrlich beantwortet und prüft, welche Lücken euer ERP wirklich hat – legt ihr die Latte für alle weiteren Entscheidungen fest. 

Wie finde ich den Richtigen unter 300 Anbietern? 

Nach dem „Was“ kommt das „Wer“. Der Markt ist ein Basar: über 300 WMS-Angebote allein im DACH-Raum. Ohne Plan verläuft man sich. Also setzt ihr euch noch einmal zusammen, Lagerleitung, IT, Einkauf, Controlling, und schreibt eure Muss- und K.-o.-Kriterien auf: Prozesse, Schnittstellen, Budget, Service-Level. Klingt trocken? Stellt es euch wie den Einkaufszettel vor dem Wochenend-Grillen vor: Erst wenn alles draufsteht, landet im Supermarkt nichts Überflüssiges im Wagen. 

Aus dieser Liste entsteht eure erste Filter-Excel, keine Hochglanz-Ausschreibung, sondern ein ehrliches Raster. Drei Spalten reichen: „Brauchen wir“, „Nice to have“, „Brauchen wir nie“. Damit schrumpft der Basar schnell auf eine Handvoll Kandidaten, die wirklich zu euch passen. Friendly Reminder: Für die Filterung könnt ihr natürlich auch auf even gehen. Erst dann lohnen Demo-Workshops, Referenzbesuche und tiefere Preisverhandlungen. 

So geht ihr Schritt für Schritt vom Schmerz zum Systemtyp, vom Systemtyp zur Shortlist und behaltet jederzeit die Kontrolle, statt euch von Pitch-Slides blenden zu lassen. 

Aber worauf genau sollte man achten? 

- Passende Funktionalität und Prozesse: Das System muss die notwendigen Lagerprozesse out-of-the-box oder mit vertretbarem Customizing abbilden können. Die Funktionalität steht daher an erster Stelle. Du solltest dabei prüfen, inwieweit branchenspezifische Anforderungen unterstützt werden (z.B. Chargenverwaltung, Gefahrstofflagerung, Chargenverfolgung, Dock/Yard-Management etc.). Viele Anbieter werben mit branchenneutralen Lösungen, doch im Detail gibt es große Unterschiede im Funktionsumfang und in vorhandenen Modulen, etwa spezielle Features für E-Commerce-Fulfillment vs. Produktionsversorgung. Ideal ist ein System, das mit möglichst wenig Anpassung an die eigenen Prozesse passt. Ein häufiger Rat lautet: „Kaufe nie ein WMS, sondern immer dein WMS!“ – sprich, wähle eine Software, die nah an den eigenen Abläufen ist, anstatt ein System wegen eines Trend-Features zu kaufen und anschließend teuer umbauen zu müssen. Sei aber ehrlich zu dir selbst und gib dir genug Raum deine eigenen Prozesse zu hinterfragen. 

- Integration und Schnittstellen: Ein Lager-IT-System arbeitet nie isoliert: die Anbindung an ERP, Warenwirtschaft, Shop-Systeme, Versandsoftware oder Automatisierungstechnik muss einfach möglich sein. Offene API-Schnittstellen (REST/Webservice) und Standards (z.B. EDIFACT, XML, OPC-UA für Maschinen) sind heute ein Muss und nicht zu diskutieren. Moderne Lösungen verfolgen einen plattformorientierten Ansatz: Mittels RESTful APIs lassen sich ERP, Versandlösungen, Pick-by-Voice-Systeme etc. schnell anbinden. Achte also auf offene Schnittstellen und bestehende Integrationsmöglichkeiten, um kostspielige Eigenentwicklungen zu vermeiden. 

- Skalierbarkeit und Zukunftsfähigkeit: Das System sollte mit eurem Unternehmen mitwachsen können. Skalierbarkeit bezieht sich auf Daten- und Transaktionsvolumen (z.B. mehr Aufträge, Artikel, Lagerplätze in Zukunft), aber auch auf funktionale Erweiterungen (z.B. Einbindung von Automatisierung oder weiterer Standorte). Prüfe daher die Flexibilität des Anbieters hinsichtlich Erweiterungen: Ist geplant, mittelfristig zu automatisieren? Soll das WMS später in internationalen Niederlassungen ausgerollt werden? Solche Ziele müssen die Software und der Anbieter stemmen können. Cloud-basierte WMS bieten hier oft Vorteile: Sie erlauben es, Rechenleistung oder Nutzerzahlen kurzfristig hochzuskalieren, ohne lokale Hardware aufzurüsten. Einige Cloud-WMS rechnen sogar nach Nutzungsvolumen ab, sodass in Peak-Zeiten zwar höhere Gebühren anfallen, aber keine dauerhaften Fixkosten entstehen. Tipp: Schau am besten auch nach, ob der Anbieter Referenzen in der passenden Größenordnung hat – ein sehr einfaches Kleinst-WMS stößt evtl. bei größeren Volumina an Grenzen, während ein Großsystem für ein kleines Lager „überdimensioniert“ und teuer sein kann. 

- Benutzerfreundlichkeit (UI/UX): Die Usability des Systems spielt eine enorme Rolle für die tägliche Produktivität und die Akzeptanz bei den Lager-Mitarbeitern. Ein intuitives User Interface, idealerweise mehrsprachig und mit modernen, mobilen Dialogen, erleichtert die Einarbeitung und reduziert Fehler. Benutzerfreundlichkeit wurde im Fraunhofer WMS-Marktreport 2022 als eines der fünf wichtigsten Auswahlkriterien genannt. Du kannst dir sicher sein: Das ist auch heute noch gültig. Gerade KMU mit oft begrenzten Ressourcen für Schulungen profitieren von einer einfachen, leicht erlernbaren Oberfläche. Viele moderne WMS setzen auf browserbasierte oder App-Interfaces auf Android-Geräten statt Terminal-Oberflächen. Dies ermöglicht es auch, temporäre oder saisonale Aushilfskräfte schnell einzuarbeiten. Im Auswahlprozess sollte daher auf Demos geachtet werden: Wirkt die Bedienung übersichtlich? Fühlt es sich an wie auf deinem Handy oder eher nach MS Dos? Lassen sich Masken oder Workflows eventuell ohne Programmierung anpassen (Stichwort einfache Parametrisierung)? 

- Anbieterstrategie und Support: Mit der Entscheidung für ein Lager-IT-System geht man eine langfristige Partnerschaft mit dem Software-Anbieter einhttps://publica.fraunhofer.de/entities/publication/b6d03f8e-d8bf-4722-a8df-643aea7d231a. Daher sind Zuverlässigkeit, Service und Weiterentwicklung des Anbieters wichtige Kriterien. Dazu zählt die finanzielle Stabilität und Größe des Anbieters (kann er langfristig Support leisten?), seine Branchen- und Projekterfahrung (Referenzen vergleichbarer Projekte), sowie die Release-Politik und Produkt-Roadmap. Ein guter Anbieter sollte regelmäßige Updates bieten und mit technologischen Entwicklungen Schritt halten. Auch Service-Level-Agreements (SLA) und Reaktionszeiten im Support sind relevant – besonders, wenn der Lagerbetrieb 24/7 laufen muss. Vertragsgestaltung ist ebenfalls ein Punkt: Achte auf faire Lizenzmodelle und transparente Folgekosten. Zum Beispiel: Handelt es sich um eine dauerhafte Lizenz mit Wartungsvertrag oder um ein SaaS-Abo? Beide Modelle haben Vor- und Nachteile. Während klassische Einmal-Lizenzen langfristig günstiger erscheinen können, fallen hier hohe Anfangsinvestitionen und eigene Infrastrukturkosten an, wohingegen SaaS-Modelle laufende Kosten verursachen, aber dafür Updates, Hosting und Support inkludieren. Für KMU kann SaaS attraktiv sein, da es geringere Anfangskosten und mehr Flexibilität bei Erweiterungen bietet (z.B. zusätzliche Nutzer oder Module einfach dazubuchen). Nicht zuletzt solltest du prüfen, ob der Anbieter bzw. Implementierungspartner zu einem „auf Augenhöhe“ passt. Ein mittelständisches Unternehmen fährt oft besser mit einem mittelständischen Softwarepartner als mit einem riesigen internationalen Konzern, da kurze Entscheidungswege und direkte Ansprache möglich sind. 

- Change-Request-Prozess: Das unterschätzte K.-o.-Kriterium: Kein Lastenheft bleibt zehn Jahre in Stein gemeißelt. Falls du überhaupt eins erstellt hast, dann ist hier die bittere Wahrheit. Dein Sortiment wächst, neue Mandanten ziehen ein, vielleicht hält ein Shuttle-System Einzug und plötzlich braucht das Lager-IT-System ein zusätzliches Feld, einen frisch definierten Workflow oder eine neue Schnittstelle. Wenn genau dann der Weg vom Wunsch zur Umsetzung kompliziert ist, verwandelt sich jede gute Prozessidee in einen zähen Ticket-Marathon, und aus anfänglicher Begeisterung wird Frust. Achte deshalb bei der Anbieterwahl nicht nur auf Funktionslisten, sondern auch auf den Change-Request-Prozess selbst: Lässt sich eine Maskenanpassung in der Oberfläche per Low-/No-Code erledigen, oder muss für jede Kleinigkeit der externe Entwickler ran? Liefert der Partner in festen Sprints mit Sandbox-Umgebung, oder verspricht er ein nächstes „Major Release“ in ferner Zukunft? Sind Zusatzkosten klar planbar, oder überraschen Nachtragsangebote mitten im Betrieb? Und gibt es ein transparentes Ticketsystem, in dem du Prioritäten und Roadmap live verfolgen kannst? Fehlt ein solcher moderner CR-Prozess, schnürt dir irgendwann selbst die beste Software ein Korsett: Jede Veränderung tut weh. Genau dann, wenn dein Lager eigentlich neuen Spielraum bräuchte. 

Typische Fehler bei Auswahl und Einführung 

Bei der Einführung eines WMS/WCS treten erfahrungsgemäß immer wieder ähnliche Fallstricke auf. Insbesondere kleinere Unternehmen, die seltener IT-Projekte stemmen, laufen Gefahr, gewisse Aspekte zu unterschätzen. Hier sind einige typische Fehler und wie man sie vermeidet: 

- Unterschätzter Projektaufwand: Die größte Gefahr besteht darin, das Projekt zu unterschätzen. Ein Lagerverwaltungssystem einzuführen ist ein komplexes Unterfangen. Häufig planen Unternehmen zu wenig Zeit und Ressourcen für Tests und Implementierung ein. Mitarbeiter müssen das Projekt neben dem Tagesgeschäft bewältigen, was ohne Puffer schnell zu Überlastung führt. Wird zu ambitioniert oder hektisch eingeführt, drohen Mehrkosten oder sogar Systemausfälle im Betrieb. Tipp: Realistisch planen: lieber etwas mehr Zeit einkalkulieren für Abstimmungen, Tests und Datenübernahmen. Das Top-Management sollte genügend interne Ressourcen freistellen und notfalls externe Unterstützung (Beratung) hinzuziehen, damit das Projekt mit der nötigen Priorität vorangetrieben wird. 

- Fokus auf falsche Kriterien: Bei der Anbieterauswahl werden Entscheidungen leider oft an Einzelfunktionen oder modischen Schlagworten aufgehängt. Beispielsweise wählt man einen Anbieter wegen einer KI-gestützten Optimierung oder hübschen Dashboard, stellt aber später fest, dass banale Kernfunktionen fehlen oder nur umständlich funktionieren. Auch der Preis allein ist ein gefährlicher Ratgeber – das billigste Angebot kann teuer werden, wenn wichtige Leistungen fehlen. Tipp: Systematisch und ganzheitlich vergleichen. Alle Muss-Kriterien müssen erfüllt sein; Trend-Features sollten nie über Basics gestellt werden. Wichtig ist, welches System mit den wenigsten Anpassungen die eigenen Prozesse unterstützt.  

- Unklare Verantwortlichkeiten: Intern tritt oft die Frage auf, wer das Projekt führen soll, IT oder Logistik? Diese Unklarheit kann das Projekt ausbremsen. Tatsache ist: Beide Bereiche müssen eng kooperieren. Die Logistik als spätere Hauptnutzerin des Systems sollte inhaltlich den Ton angeben (Prozesse definieren, Tests durchführen), während die IT ihre Expertise für Infrastruktur, Schnittstellen und technische Bewertung einbringt. Empfehlung: Ein gemischtes Projektteam aufstellen, idealerweise mit einem/einer erfahrenen Projektleiter*in, der/die genügend zeitliche Kapazität hat. Rollen klar festlegen (Fachkonzept durch Logistik, technische Umsetzung durch IT, Entscheidungsinstanz durch Management). Bei Bedarf externe Projektmanager*in oder Berater*in hinzuziehen, die bereits WxS-Projekte geleitet haben. 

- Mangelnde Einbeziehung der Mitarbeiter*innen: Ein WxS verändert die Arbeitsabläufe im Lager erheblich, ohne frühzeitige Einbindung der Mitarbeiter*innen drohen Akzeptanzprobleme. Typischer Fehler ist, Schulungen und Change-Management zu vernachlässigen. Wird das Lagerteam nicht ausreichend trainiert, sind Bedienungsfehler vorprogrammiert, die den Betriebsablauf stören. Auch nutzen schlecht geschulte Mitarbeiter*innen oft nur einen Bruchteil der Systemfunktionen, wodurch Potenzial verschenkt wird. Tipp: Frühzeitig Key-User bestimmen und alle Beteiligten über Ziele und Vorteile des neuen Systems informieren. Umfassende Schulungen sind Pflicht, nicht nur einmalig zum Go-Live, sondern fortlaufend, bis alle sicher mit dem System umgehen können. Ebenso sollte die Dokumentation der Software nicht vernachlässigt werden, damit neues Personal oder Spezialfälle schnell nachgeschlagen werden können. Ein mitarbeiterorientiertes Change-Management steigert die Akzeptanz und damit den Erfolg des Projekts maßgeblich. 

- Ungenügendes Testen und Vorbereitung auf den Echtstart: Die Testphase wird oft zeitlich gekürzt, um „schneller live zu gehen“. Das rächst sich häufig im Echtbetrieb. Es sollten ausgiebige Tests in allen Varianten durchgeführt werden – von Lieferantentests über Integrationstests bis zum Probebetrieb mit steigernder Last. Wird hier geschlampt, treten Fehler später im laufenden Betrieb auf. Empfehlung: Einen detaillierten Testplan aufstellen, der alle Szenarien abdeckt (auch Sonderfälle wie Inventur, Retouren, Schnittstellenausfall etc.). Genügend Zeit für Fehlerbehebung zwischen den Testphasen einplanen. Beim Go-Live selbst ist es ratsam, den Softwarelieferanten vor Ort oder zumindest in Rufbereitschaft zu haben, um Startprobleme sofort zu beheben. Ebenso sollten in den ersten Tagen/Wochen regelmäßige Fehler-Dokumentationsrunden mit dem Anbieter stattfinden, um Kinderkrankheiten systematisch auszumerzen. 

- Kein schrittweises Optimieren nach Go-Live: Zu glauben, mit dem Produktionsstart sei das Projekt abgeschlossen, ist ein Irrtum. Oft entfaltet das Lager erst nach einigen Wochen oder Monaten seine volle Leistungsfähigkeit. Tuning und Prozessoptimierung nach dem Go-Live werden jedoch gern vergessen. Etwaiges Verbesserungspotenzial (feinere Systemeinstellungen, Schulungslücken, Schnittstellenabstimmung) sollte als eigene Projektphase betrachtet werden. Erfolgreiche Unternehmen planen nach Inbetriebnahme einen Stabilisierungs- und Optimierungszeitraum ein, in dem das System feinjustiert und die Mitarbeiter routiniert werden. Diese Nachbetreuung, inkl. Performance-Monitoring und ggf. Anpassungen, stellt sicher, dass das WMS seine versprochenen Vorteile voll erreicht und dauerhaft stabil läuft. 

Kurz gesagt: Fehler passieren vor allem dann, wenn die Einführung eines Lager-IT-Systems unvorbereitet, übereilt oder ohne ganzheitliche Betrachtung angegangen wird. Demgegenüber stehen Projekte, die ausreichend Zeit, Planung und Change-Management investieren – diese verlaufen deutlich erfolgreicher. Keine wirkliche Überraschung für jede/n der/die sich mit komplexeren Projekten befasst. 

Unterschiede zwischen KMU und Großunternehmen 

Bei all diesen Überlegungen lohnt ein Blick auf die besonderen Bedürfnisse von KMU im Vergleich zu Großkonzernen bei der Auswahl und Umsetzung von Lager-IT-Systemen. 

- Budget und Ressourcen: KMU verfügen meist über begrenztere IT-Budgets und weniger personelle Ressourcen für ein WxS-Projekt als Konzerne. Das heißt, die Lösung muss kosteneffizient sein und eine schnelle Amortisation bieten. Große Unternehmen können sich eher umfangreiche Beratungsprojekte, maßgeschneiderte Anpassungen und längere Projektlaufzeiten leisten; KMU müssen oft pragmatischer vorgehen. Daher tendieren KMU stärker zu Standardlösungen mit möglichst geringem Customizing und klar kalkulierbaren laufenden Kosten. Die Cloud/SaaS-Modelle sind hier ein Enabler, da sie hohe Einmalinvestitionen vermeiden und in ein planbares Abomodell überführen. Auch die Projektmethodik unterscheidet sich: Konzerne folgen häufig formalisierten Ausschreibungsprozessen und Pflichtenheften, während KMU die Auswahl mit schlankeren Prozessen, teils auch anhand von Referenzen oder Pilotinstallationen, treffen. Trotzdem sollten auch KMU strukturiert vorgehen und nicht allein auf Beziehungen oder Marketing hören. Eine gründliche Evaluierung wie oben beschrieben ist für jede Firmengröße ratsam. 

- Funktionale Anforderungen: Ein mittelständisches Unternehmen hat oft einen fokussierteren Geschäftsprozess (z.B. spezialisiert auf einen bestimmten Logistikservice oder eine Produktgruppe) und benötigt kein extrem diversifizierten Funktionsumfang. Ein Konzern-WxS muss hingegen unter Umständen sehr heterogene Lager (verschiedene Länder, Produktsparten, automatisierte und manuelle Bereiche) unter einen Hut bringen. Das spiegelt sich in der Anbieterauswahl: Manche WxS-Lösungen sind explizit auf den Mittelstand zugeschnitten - mit Vorkonfiguration, einfacher Bedienung und begrenztem Funktionsset, dafür schneller Einführung. Große Anbieter wie SAP EWM, Manhattan oder Oracle WMS bieten riesige Funktionspaletten, die aber für einen kleinen Betrieb überdimensioniert sein können. KMU sollten darauf achten, nicht von einem „schweren“ System erschlagen zu werden. Lieber ein überschaubares System wählen, das die eigenen Kernprozesse sehr gut unterstützt, als eines, das alles kann, aber hochkomplex und wartungsintensiv ist. Zudem bevorzugen KMU oft lösungsnahe Dienstleistungen (Beratung, Support) in Landessprache und mit Verständnis für den Mittelstand. Ein globaler Softwarekonzern mag zwar eine mächtige Lösung haben, aber ein kleinerer WMS-Anbieter „um die Ecke“ kann dafür mit persönlicher Betreuung punkten.  

- Implementierungsstrategie: Konzernprojekte haben tendenziell längere Vorlaufzeiten, umfangreichere Tests in Konzern-Innovationszentren und oft eine rollierende internationale Rollout-Planung. KMU hingegen möchten in der Regel schnell Ergebnisse sehen. Daher werden bei KMU-Projekten häufiger kleinere Schritte gegangen (Pilot im laufenden Lager, kurze Go-Live-Phasen z.B. über ein Wochenende, modulare Freischaltung von Funktionen). Das Risikoprofil ist anders: Ein großer Handelskonzern kann es sich nicht leisten, dass das WMS einer nationalen Distribution ausfällt. Dementsprechend sind dort ausgedehnte Fallback-Planungen, Parallelläufe oder Simulationen üblich. In einem mittelständischen Lager mit z.B. 20 Lagerist*innen ist man etwas flexibler und kann notfalls mit manuellen Workarounds kurzfristig agieren. Das soll nicht heißen, dass Tests und Absicherungen bei KMU unwichtig wären, aber die Skalierung der Maßnahmen ist der Firmengröße angepasst. Ein weiterer Unterschied: Bei KMU entscheidet oft die Geschäftsführung oder Inhaber direkt mit und ist eng in das Projekt involviert, während in Konzernen Steering Committees mit vielen Stakeholdern existieren. Kurze Entscheidungswege im Mittelstand können ein Vorteil sein, erlauben sie doch eine zügige Abstimmung und pragmatische Lösungen. Gleichzeitig fehlt KMU manchmal die interne Erfahrung für solche Projekte. Hier lohnt es sich durchaus, Best Practices von größeren Unternehmen zu übernehmen (z.B. das erwähnte strukturierte Testen, Change-Management etc.) und ggf. externe Expertise hereinzuholen. 

- Technologie-Stack: Große Unternehmen haben häufig bereits umfangreiche IT-Landschaften (z.B. ein zentrales ERP, eigene Rechenzentren, Security-Vorgaben), an die sich ein WxS fügen muss. Mittelständler besitzen mitunter weniger Altlasten und können sprichwörtlich „auf der grünen Wiese“ moderner aufsetzen. Ein KMU ohne eigene Serverinfrastruktur wird eher ein Cloud-WxS favorisieren, während ein Konzern mit bestehendem Rechenzentrum vielleicht das WxS ins eigene Data Center integriert. Auch beim Thema Customization vs. Konfiguration gilt: Konzerne neigen eher dazu, Software an ihre teils einzigartigen Prozesse anzupassen (oder sogar eigene Lösungen zu entwickeln), wo KMU eher bereit sind, ihre Prozesse an eine Standardsoftware anzulehnen, um schneller produktiv zu werden. Dies hängt natürlich von der Selbsteinschätzung ab: ein mittelständisches Unternehmen mit sehr spezieller Nische kann ebenfalls auf ein Nischen-WxS setzen, das speziell für solche Prozesse geschaffen wurde. 

Fazit und Empfehlungen 

Die Auswahl eines Lager-IT-Systems ist für jedes Unternehmen ein strategisches Projekt, das mit Bedacht angegangen werden muss. Wichtig ist, einen klaren Plan zu haben: Welche Ziele sollen erreicht werden? Kostenreduktion, Durchsatzsteigerung, Fehlervermeidung, Fähigkeit zum E-Commerce? Diese Ziele leiten die Anforderungen an das System. Kernkriterien wie funktionaler Fit, Integration, Skalierbarkeit, Usability und Anbieterzuverlässigkeit bieten einen Kompass bei der Bewertung der vielen Optionen am Markt. 

Dabei hat die Branche einen deutlichen Wandel hin zu agilen, schnell einführbaren Lösungen vollzogen. Jede*r sollte diese Entwicklung nutzen: Statt sich auf endlose Spezifikationsphasen einzulassen, kann es sinnvoll sein, mit einem soliden Standard-WxS zu starten und es iterativ zu verfeinern. Viele Anbieter offerieren vorkonfigurierte Systeme, die in wenigen Wochen einsatzbereit sein können – ein enormer Unterschied zu den jahrelangen Individualprojekten der Vergangenheit. Auch technologische Trends wie Cloud-Computing und No-Code/Low-Code-Anpassungen spielen agilen Unternehmen in die Karten, da sie den Bedarf an eigener IT-Infrastruktur und Entwicklerkapazität reduzieren. 

Empfehlungen aus der Praxis: Lerne aus den typischen Fehlern, indem du gründlich planst, aber dennoch flexibel bleibst. Binde von Anfang an alle Stakeholder ein, von der Lagerleitung bis zur IT, und kommuniziere offen an dein Team, was sich durch das neue System verbessert. Wähle einen kompetenten Anbieter oder Integrationspartner, der deine Sprache spricht und euer Geschäft versteht. Achte auf dessen Produkt-Roadmap und Kundenservice, damit du auch in Zukunft gut betreut bist. Wenn möglich, sprich mit anderen Kunden eines Anbieters aus eurer Branche, um aus erster Hand zu erfahren, wo die Stolpersteine lagen und wie der Anbieter Unterstützung bietet. AN DIE SEITE: Mit anderen Anwendern kannst du dich in unserer even Community austauschen. 

Für kleine Unternehmen ist es oft hilfreich, auch klein anzufangen: vielleicht mit einem Pilotprojekt in einem Teilbereich oder einem MVP-Ansatz, und darauf aufbauend das System auszuweiten. So sammelst du schnell Erfahrungen und schaffst intern Vertrauen in die Lösung. Nutze die Flexibilität moderner Systeme, um dein Lager schrittweise weiterzuentwickeln. Sei es die spätere Anbindung von Automatisierungstechnik über standardisierte Schnittstellen oder das Aufschalten zusätzlicher Module (z.B. für Transportmanagement oder Business Intelligence), wenn der Grundbetrieb stabil läuft. 

Ein passendes Lager-IT-System ist heute kein unerreichbares Großprojekt mehr. Mit den richtigen Kriterien und Methoden lässt es sich in überschaubarer Zeit realisieren. Entscheidend ist, die Auswahl systematisch und zukunftsorientiert anzugehen und die Einführung als gemeinsames Projekt von Mensch und Technik zu begreifen. Dann wird das neue WMS/WCS/WES schnell vom Investitionsobjekt zum unverzichtbaren Rückgrat der Lagerlogistik, das Effizienz und Wachstum in eurem Unternehmen nachhaltig unterstützt.

Mehr Hintergründe, Praxisbeispiele und Checklisten findest du direkt im Report. Hier geht’s zum Download.

Autor*in

Andreas Löwe

Andreas Löwe ist Gründer und Geschäftsführer von even logistics. Mit über 10 Jahren Erfahrung in der Logistik, hat er ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen und Chancen der Branche entwickelt. Schon vor einigen Jahren wurde ihm bewusst, dass der Logistikmarkt oft von fehlender Transparenz und Übersichtlichkeit geprägt ist. Anfang 2024 entschied er sich, diesem Problem aktiv entgegenzuwirken, und gründete even logistics – eine Plattform, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Logistikdschungel zu lichten und Entscheidungsträgern klare Orientierung zu bieten.


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