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Nachhaltigkeit und Logistik - Die Logistik als Motor der Circular Economy?!

Timo Landener

Die Supply Chain im Kreis. Welche Opportunitäten ergeben sich daraus? Und was ist dafür notwendig?

Blogpost 05 02 Circular Economy Graphic 1

In a nutshell: Die Circular Ecomomy löst die klassische lineare Wirtschaftsweise ab. Natürlich nicht über Nacht. Es ist eine Transformation. Und sie hat jetzt schon begonnen. In kleinen Schritten. Denn zirkuläre Warenströme werden zwangsläufig entstehen. So oder so. Ob „by design“ oder „by desaster“, das wird sich zeigen. Und die Logistik wird hierbei Dreh- und Angelpunkt sein. Sein müssen. So zumindest eine Forderung. Meine Forderung. Aber wird sie sich auch proaktiv dieser Verantwortung bewusst? Gestaltet sie die Infrastruktur für eine Circular Economy? Wird sie Geschäftsmodelle etablieren, um – natürlich nicht nur aus Gemeinwohlorientierung, sondern eben auch aus monetären unternehmerischen Gründen – Profite zu erwirtschaften? Oder wird sie am Ende dazu gezwungen werden? Von Kunden und Konsumenten? Anders gefragt: Treibt die Logistik die Circular Economy als Motor oder wird die Logistik durch die Circular Economy getrieben werden? 

In einem früheren, vorangegangen Blogpost habe ich die Circular Economy mal grundsätzlich beschrieben und eingeordnet. Wer das also nochmal nachholen möchte (oder ggf. sogar muss), der findet den Link dazu in der Quellenangabe. [1] Ich möchte mich nun der Frage widmen, welche Implikationen die Circular Economy für die Supply Chain und somit die Logistik hat. Dies wird sich über mehrere Blogposts erstrecken.

Von der linearen Wirtschaft zum Circle – Auswirkungen auf die Supply Chain

Heute funktioniert die Logistik als elementarer Bestandteil von etablierten Supply Chains nach dem Prinzip „Belieferung – Abfallhandling – Recycling – Retouren“. Typischerweise wird die Supply Chain in einem Supply-Chain-Operations-Reference-Modell (SCOR) dargestellt, welches von einem unabhängigen Gremium, dem US-amerikanischen Supply Chain Council (SCC), entwickelt wurde.

Dieses Modell unterstützt durch Standardisierung die Planung und Optimierung der Logistik aller Mitglieder einer Lieferkette, und soll demnach dazu beitragen, die Abläufe zu optimieren. Die Idee dahinter ist eine branchenübergreifende Vereinheitlichung sämtlicher Prozesse im gesamten Wertschöpfungsprozess. Das SCOR Modell sieht wie folgt aus:

Quelle: Collidu [2]

Das ist uns allen soweit bekannt. Und es ist direkt erkennbar, wie sehr wir in die lineare Wirtschaftsweise gedanklich verhaftet sind. Supply Chains sind auf dem Papier lange, lineare Ketten von Prozessen. Von links nach rechts. In der Circular Economy verschwinden solche linearen Ströme größtenteils und werden durch vielfältige, komplexe Rückführungs- und Einführungsflüsse ersetzt. [3] Auch wenn bereits (teil-) zirkuläre Wirtschaftsströme in Lieferketten etabliert sind, eine wirkliche, vor allem fokussierte und kollaborative End-to-End-Betrachtung fehlt. Dies ist der Anknüpfungspunkt der Circular Economy.

Wenn die lineare Wirtschaft zum Kreis wird, muss also auch das SCOR Modell neu gedacht werden. Das von Ernst & Young entwickelte und 2022 veröffentlichte Circular Supply Chain Modell zeigt die Supply Chain in einer Circular Economy und übersetzt somit den vollumfänglichem Kreislaufgedanken in ein Modell um.

Quelle: Ernst & Young [3]

Die klassische Wirtschafsweise und die logistischen Wertschöpfungsnetzwerke sind bisher durch einen oben dargestellten linearen Materialfluss gekennzeichnet, an dessen Ende zumeist (und zu oft) das mit starken Materialverlusten verbundene Wegwerfen/Entsorgen konsumierter Produkte durch den Endkunden steht. Oder die gekauften Produkte versauern in den Kellern und Schubladen dieser Welt. Das Modell der Circular Economy ersetzt diese lineare Sichtweise durch eine Kreislaufdarstellung und schließt somit den Kreis vom Konsumenten (5.) zum Sub-Supplier (1.). Im klassischen SCOR Modell fehlten auf Endkundenseite Aktivitäten wie Sammeln (Collect), Proof (Überprüfen) und Re-X (das X steht hier für die vielfältigen Aufbereitungsformen; nachzulesen in meinem Circular Economy Grundlagen Blogpost [1]). 

Es ist auffällig, dass zwischen den einzelnen Wertschöpfungsstufen Mikrokreisläufe auftreten. EY betitelt diese als Sub-Supply-Cycles. [3] Die wesentlichen Herausforderungen bestehen - neben einem anderen Mindset - in der Integration von Akteuren der Kreislaufwirtschaftsbranche in die Supply Chains und - damit verbunden - in der Kreislaufführung von Stoffen in Produktions- und Wirtschaftssystemen, so dass sich der Paradigmenwechsel vom Supply Chain Management hin zum Management von Circular Supply Chains vollziehen kann. [4]

Die Aufgabe und die Verantwortung der Logistik in den Mikrokreisläufen

Das primäre Ziel der Circular Economy ist in erster Linie die Sicherung der Rohstoffversorgung durch Einsparung von Ressourcen sowie durch gesteigerte Ressourceneffektivität. Dabei ist die Geschwindigkeit von Kreislaufströmen entscheidend: Die Effizienz des Bestandsmanagements in der Circular Economy steigt mit abnehmender Flussgeschwindigkeit. Daher müssen Unternehmen ihre auf geplanter Obsoleszenz basierenden Strategien überdenken und hochwertige, langlebige Produkte herstellen. [5] Die Kreislaufführung von Produkten und Materialien soll dabei die Entkopplung der wirtschaftlichen Entwicklung vom Ressourcenverbrauch ermöglichen. [4]

Der Logistik als Dreh- und Angelpunkt fällt dabei eine zentrale Rolle zu. Sie wird mehr und wichtigere Aufgaben übernehmen - und zugleich kleinteiliger und lokaler werden. [3] Ziel ist nicht die Schaffung einer einzigen globalisierten Circular Economy. Es werden sich - wie oben beschrieben - viele kleine und regionale Mikrokreisläufe bilden. Denn je kleiner der Kreislauf in Bezug auf Aktivitäten und geografische Größe, desto profitabler, schneller und ressourceneffizienter ist er. Und die Strategie muss demnach darin bestehen, diese vielen, diversen, kleinen Circular Economies auf lokaler, regionaler und globaler Ebene angemessen zu vernetzen. [5] 

Daraus leitet sich die von mir mal aufgeworfene Fragestellung nach dem (gesellschaftlichen) Wert der Logistik ab, nachzulesen in diesem Blogpost. [6]. Denn für die Logistik ergibt sich daraus die Aufgabe, logistische Prozesse zukünftig zielgerichtet hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Ressourcenproduktivität und die Ressourceneffektivität auszurichten, und nicht ausschließlich und zentral auf die Kurzfristigkeit der monetären Befriedigung. Damit möchte ich nicht eine Gemeinwohlorientierung proklamieren, sondern vielmehr die Frage nach der Relevanz in einer sich ändernden Zukunft. Denn die Logistik kann und sollte sich schon jetzt als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems präsentieren, bevor es zum Muss wird. [4]

Für Logistikunternehmen und für Unternehmen, wo die Logistik eine zentrale Rolle spielt / spielen wird, sollte die entscheidende Frage sein: Welcher Teil des Wertes könnte mir gehören, welcher weitere Wert wird geschaffen oder welche Kosten werden vermieden, und wo platziere ich mich in der gesamten Kette? [7] Die Stärke der Logistik liegt nicht in der Optimierung der transportierten Tonnenmenge pro Kilometer, sondern im Mehrwert (Menschen, Umwelt, Gewinn), der pro Kilometer transportierter Güter entsteht. [7]

Diese Fragestellung und die daraus resultierende elementare Transformationsaufgabe kommt der Logistik zuteil. Sowohl Verlader als auch Logistikdienstleister werden in der Circular Economy eine Transformation durchgehen (müssen). Die Transformation in eine solche Circular Economy auf prozessualer und auf infrastruktureller Hinsicht gepaart mit dem Know-How von Lieferketten-Management und einem Ökosystem-Mindset kann und wird nur mit der und durch die Logistik gestemmt werden können. Eine Transformation hin zu einer dezentralen, regionalen Vernetzung: so wie es die Natur in unzähligen Fällen vormacht.

Und damit sind wir beim wichtigen Thema: Ökosysteme aufbauen.

Kreisläufe haben weder Anfang noch Ende und erfordern daher eine kontinuierliche und kollaborative Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. [5] Die Circular Economy fördert und fordert die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen. Dieser kooperative Ansatz kommt nicht nur der Umwelt zugute, sondern wirkt sich auch positiv auf die Finanzen der beteiligten Unternehmen aus. Das Etablieren von Netzwerken und Ökosystemen ist also unabdingbar für das Funktionieren einer Circular Economy. Leider ist aber genau diese Organisation der Zusammenarbeit aller Akteure über die verschiedenen Wertschöpfungsstufen hinweg eine der größten Hürden.

Von vielfältiger Vernetztheit [im Sinne der Circular Economy] wie in der Natur kann aktuell keine Rede sein. Vielmehr versuchen die Firmen, ihre Ressourcenprobleme individuell anzugehen und sich durch Selbstoptimierung Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. Wenn ich auf Konferenzen über die Circular Economy spreche, dann spüre ich oft ein Verständnis für die Notwendigkeit und für die Opportunitäten, die sich daraus ergeben (können). Und eben auch einen Willen eine solche Transformation zu beginnen und Dinge zu ändern. Zu oft paart sich aber dieser Enthusiasmus und der Pioniergeist mit dem unternehmerischen Silo-Denken. Das ist nicht vollends zu verurteilen, aber dennoch zu engstirnig gedacht.

Produzenten und Zulieferer müssen gemeinsam die Kreislaufführung aller in der Wertschöpfungskette eingesetzten Materialen und Komponenten mehr in den Fokus rücken. Hierbei geht es nicht mehr allein um die Frage der Recyclingfähigkeit. Denn neben Konzepten zur Lebensdauerverlängerung müssen u.a. infrastrukturelle und integrierte Logistikkonzepte für die Ver- und Entsorgung sowie eine verbesserte Bestandsführung gemeinsam gedacht und aufgebaut werden. Darüber hinaus sind verlässliche Aussagen über Verfügbarkeiten von Sekundärmaterialien ebenso wichtig wie die Steuerung der Produktströme gemäß den Prinzipien des Supply Chain Managements. [4]

Viele der nötigen Strukturen für physische Warenbewegungen und Bearbeitungsschritte müssen noch geschaffen werden – insbesondere lokale und regionale Sammel- und Sortierstellen sowie Aufbereitungsanlagen und Werkstätten. Und dies kann nur durch die Logistik über alle Lebenszyklen eines Produktes hinweg orchestriert werden. Und das in einer kreislauffähigen und effizienten Art und Weise. [4] 

Aber nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen sollte im Fokus stehen. Auch die Zusammenarbeit von staatlichen Akteure (Gesetze, Investitionen, Forschungsprogramme und andere Anreize), Unternehmen (Herstellung, Reparaturfähigkeit, Langlebigkeit der Produkte) und Konsumenten (Konsumverhalten und die aktive Teilnahme an Kreislauf-, Rücknahme- bzw. Rückführungssystemen) ist unabdingbar.

Gerade der Lückenschluss zwischen Entsorgern, Aufbereitern und Verwertern als Quellen für Sekundärrohstoffe sowie den Unternehmen der produzierenden Industrie, als deren Abnehmer wird eine der maßgeblichen logistischen Herausforderungen der Transformation hin zu einer Circular Economy sein. [4]

Fazit

Für die Transformation zu einer Circular Economy bedarf es - neben einem Neudenken der aktuellen linearen Wirtschaftsströme - ein kollaboratives Ökosystem-Mindset. Denn kein Unternehmen kann ganzheitlich einfach ohne Weiteres selbst zirkulär werden, geschweige denn zirkuläre Wirtschaftsströme samt Infrastruktur und Prozesse allein aufbauen, da etablierte Lieferketten so komplex geworden sind und viele Akteure zum Funktionieren ebensolcher Ketten beitragen.

Dabei ist vor allem wichtig beim Aufbau von ebensolchen zirkulären Warenflüssen den Kunden / den Endkonsumenten zu berücksichtigen und einzubinden. Ohne bspw. für den Endkunden komfortable Rücknahme- und Reparaturprozesse, wird eine Transformation nicht gelingen. Das Zusammenspiel aller Akteure (vom (Sub-) Supplier bis zum Endkonsumenten) kann und wird von der Logistik gemanagt werden. Somit ist klar: Das Potenzial der Circular Economy kann nur mit passenden logistischen Lösungen realisiert werden.

Und auch bei der Circular Economy gilt: Survival of the Fittest! Paradoxerweise tragen nämlich sowohl die Zusammenarbeit als auch der Wettbewerb dazu bei, Transformationsschritte zu einer Circular Economy so einzuleiten, dass sie letztlich (auch) Kundenbedürfnisse erfüllen. Wer in diesem Bereich also Pionierarbeit leistet, hat gute Chancen die Logistik und die Kundenbeziehungen von morgen zu bestimmen. [3]

 

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Quellen

  • [1]        Timo Landener “Nachhaltigkeit und Logistik - Die Circular Economy” (Link zum Artikel | 2025)
  • [2]        Collidu (Link zur Grafik)
  • [3]        Ernst & Young (Link zum Artikel | 2022)
  • [4]        Fraunhofer (Link zum White Paper | 2018)
  • [5]        Daniel Christian Wahl “Regenerative Kulturen gestalten” (2016)
  • [6]        Timo Landener „Nachhaltigkeit und Logistik - Der Wert der Logistik“ (Link zum Artikel | 2024)
  • [7]        circle-economy.com (Link zum Artikel | 2024)

 

Autor*in

Timo Landener

Timo Landener arbeitet seit mehr als 20 Jahren im logistischen Bereich, hauptsächlich in der Intralogistik. Und seit er angefangen hat, ist viel passiert, und natürlich hat auch er sich weiterentwickelt. Anfangs interessierte er sich (fast) ausschließlich für die Digitalisierung und Automatisierung logistischer Prozesse. Über die Jahre hat er so ziemlich jede Rolle in dieser Hinsicht ausgefüllt. Von Beratung und Systemdesign über Projektmanagement bis hin zu Produktmanagement und Personalmanagement. Seit dem 01.09.2024 ist er bei der Körber als Innovation Manager (+Sustainability) tätig. Über die letzten Jahre hat er zunehmend eine Expertise im Bereich der Nachhaltigkeit und den daraus resultierenden Fragestellungen für die Logistik aufgebaut. Dieses thematisiert er zusammen mit Moritz Petersen als Host des Podcast „Das Gleiche in Grün“.


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