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Die unterschätzten Stellschrauben in Kontraktlogistik-Verträgen

Johanna Peter

Dr. Maresa Hormes, Rechtsanwältin bei Luther, über saubere Kontraktlogistik-Verträge, kluge Change-Prozesse und realistische Erwartungen.

In a nutshell: Das Rückgrat erfolgreicher Kontraktlogistik-Projekte ist ein Vertrag, der Erwartungen klärt, Änderungen steuert und branchenspezifische Anforderungen präzise abbildet. Wird an einer dieser Stellen nachlässig gearbeitet, drohen spätere Reibungsverluste, die Zeit und Geld kosten. 

Dr. Maresa Hormes kennt diese Stolperfallen aus erster Hand. Die Rechtsanwältin bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH berät seit vielen Jahren Unternehmen in der Gestaltung und Verhandlung von Logistikverträgen, vor allem in der Kontraktlogistik und anderen komplexen Großprojekten. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Recht und operativer Praxis, vom Lager- und Transportrecht bis zum Einkauf von Technik-/ Robotiksystemen und den dazugehörigen Serviceverträgen. Neben ihrer Kanzleiarbeit engagiert sie sich im Netzwerk „Die Logistikerinnen“ (Kompetenznetz Logistik.NRW), das Frauen in der Logistikbranche vernetzt und den fachlichen Austausch fördert. 

Warum der Vertrag vor dem Start fertig sein sollte oder muss 

Wer losläuft, ohne zu wissen wohin, verirrt sich. Ein belastbarer Vertrag ist der erste Prüfstein für ein stabiles Projekt. In der Praxis erlebt Hormes jedoch immer wieder, dass Projekte starten, bevor der eigentliche Vertrag steht – oft auf Grundlage eines Letter of Intent, einer Absichtserklärung. Was kurzfristig Zeit spart, kann später teuer werden: „Sobald die Leistung läuft, ist der Verhandlungsdruck weg, und offene Punkte werden nicht mehr mit der gleichen Konsequenz geklärt.“ 

Ihr Rat: den Vertrag vor dem Startschuss möglichst vollständig aushandeln, auch wenn das zunächst mehr Aufwand bedeutet. Eine frühe juristische Begleitung hilft, zentrale Fragen rechtzeitig zu klären, von Laufzeit und Kündigungsrechten bis zu Verlängerungsoptionen und deren Konditionen. Auch Standardthemen wie Leistungskapazitäten und -qualitäten, „Change Request“ und höhere Gewalt sind im Detail durchaus komplex und sollten konkret verankert sein. Wer vorab regelt, wie im Fall einer Störung nach Lösungen gesucht wird und wie Risiken verteilt werden, kann im Ernstfall handlungsfähig bleiben, statt grundlegende Fragen unter Zeitdruck klären zu müssen. 

Diese solide Ausgangsbasis ist entscheidend, um spätere Anpassungen nicht ins Chaos laufen zu lassen. Genau dort setzt der nächste Punkt an. 

Change Requests als gelebtes Sicherheitsnetz 

Selbst der beste Vertrag kann nicht alle Entwicklungen der nächsten Jahre vorhersehen. Bedarfe, Produktpaletten oder eingesetzte Systeme verändern sich und damit auch die Anforderungen an die Zusammenarbeit. Für solche Anpassungen braucht es klare Spielregeln. 

Änderungen sollten immer dokumentiert, bewertet und von beiden Seiten bestätigt werden. Ein einfacher, gemeinsam genutzter Change-Request-Prozess beugt Missverständnissen vor und erspart im Streitfall aufwendige Rekonstruktionen. „Eine vernünftige Change-Request-Klausel bildet die Interessen beider Seiten ab und steht oft exemplarisch für die Interessenlage der Parteien im das gesamten Vertragswerk“, sagt Hormes. Ein guter Vertrag regelt daher auch, in welchen Fällen der Dienstleister einen Änderungsbedarf umzusetzen hat. Denn der Auftraggeber hat häufig keine Alternative. 

Nachträge sind kein Zeichen von Scheitern, sondern ein Beleg dafür, dass ein Projekt lebt und auf neue Anforderungen reagieren kann, etwa wenn Automatisierung anders umgesetzt wird als geplant oder Volumina sich deutlich verändern. Wichtig ist, im Tagesgeschäft sensibel für Änderungsbedarf zu bleiben. Werden Anpassungen informell vereinbart, aber nicht dokumentiert, entstehen Lücken, die sich später nur mit hohem Aufwand schließen lassen.  

Das gilt umso mehr, wenn die Erwartungen beider Seiten schon zu Beginn unterschiedlich und nicht hinreichend geklärt waren. 

Realistische Erwartungen und belastbare SLAs 

Klarheit ist für Hormes der Schlüssel, um Konflikte zu vermeiden. Auftraggeber sollten ihre Erwartungen präzise formulieren, ihre Machbarkeit prüfen und bereit sein, für die gewünschte Leistung den angemessenen Preis zu zahlen. Absolute Leistungsbereitschaft zu jeder Zeit sei weder wirtschaftlich sinnvoll noch operativ realistisch. Forecasts und Service Levels müssen so gestaltet sein, dass sie den tatsächlichen Anforderungen im Betrieb entsprechen und für beide Seiten erfüllbar sind. 

Gerade hier lohnt sich ein genauer Blick auf die Details. Hormes vergleicht diesen Schritt gern mit einer Textaufgabe aus der Schulzeit: Man liest die Formulierung, leitet daraus die Berechnung ab und prüft, ob das Ergebnis tatsächlich zu dem passt, was gewollt war. Schon kleine Ungenauigkeiten können spürbare finanzielle Folgen haben – und zwar nicht nur auf einer Seite, sondern oft für beide Vertragspartner. 

Diese Präzision in der Ausgestaltung ist auch dann entscheidend, wenn branchenspezifische Besonderheiten ins Spiel kommen. 

Branchen- und Projektspezifika schlagen Standardmuster 

Die Kapitelüberschriften in Logistikverträgen ähneln sich – Leistungsgegenstand, Laufzeit, Haftung, Versicherung –, doch die Inhalte unterscheiden sich je nach Branche deutlich. Frische Lebensmittel stellen andere Anforderungen an Temperaturführung und Auslieferungsgeschwindigkeit als Mode oder Pharma. Standardlösungen stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Auch die Art der Projekte unterscheidet sich stark: Vom „1st generation outsourcing“ eines großen Lagers bis zum „Kurzläufer“ für Transporte. Und die Vergütungskonzepte sind ebenfalls ein sehr weites Feld. 

Manchmal sind es Kleinigkeiten in der Formulierung, die am Ende einen großen Unterschied machen“, so Hormes. „Der Vertragstext muss das operative Modell präzise abbilden, sonst passen Kalkulation und Umsetzung nicht mehr zusammen.“ 

Und wenn es doch einmal hakt, ist es entscheidend, dass der Vertrag funktionierende Mechanismen bereithält, um Konflikte zu lösen, ohne das Geschäft zu gefährden. 

Eskalation und Einigung ohne Stillstand 

Auseinandersetzungen landen in der Kontraktlogistik selten vor Gericht. Meistens sind die Beteiligten daran interessiert, den Betrieb aufrechtzuerhalten und Lösungen außergerichtlich zu finden. Sinnvoll sind vertraglich festgelegte Eskalationsstufen und, falls nötig, eine schnelle Entscheidung, z.B. durch Sachverständigenverfahren mit Branchenexpertise. So lassen sich fachliche Fragen klären, ohne dass die Abläufe zum Stillstand kommen. 

Entscheidend ist, den vereinbarten Prozess konsequent zu leben. Dazu gehört, dass beide Seiten in kritischen Situationen schnell auf die vereinbarten Mechanismen zurückgreifen – bevor Probleme so groß werden, dass sie den Betrieb gefährden. 

Ein gutes vertragliches Fundament erleichtert den Parteien, auch in Krisensituationen strukturiert zu handeln.

Was Anwender oft unterschätzen 

Viele Beteiligte begleiten große Outsourcing-Projekte nur einmal oder wenige Male im Berufsleben. Gerade auf Seiten des Auftraggebers fehlt häufig die Routine. Auftraggeber erwarten reibungslose Leistung, Dienstleister benötigen hierzu in der Regel belastbare Forecasts, das passende Personal und geeignete Systeme. Werden diese Perspektiven früh zusammengeführt und in verbindliche Regeln übersetzt, sinkt die Wahrscheinlichkeit für spätere Reibungen deutlich. 

Hormes macht klar, dass ein guter Vertrag kein statisches Gebilde ist. Er braucht ein solides Fundament und gleichzeitig flexible Mechanismen, um auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. „Je besser das Grundgerüst steht und je klarer die Spielregeln für Änderungen sind, desto weniger müssen wir Anwälte später eingreifen.“ Klartext und einfache Sprache vermeiden Streit. 

Drei Praxistipps für Logistikanwender

  • Vor dem Start Themen vollständig regeln
    Die Anstrengung, vor Leistungsbeginn das Vertragswerk zu finalisieren, lohnt sich regelmäßig. LOIs sind allenfalls Brücken und ersetzen keine vollständige Vereinbarung.
  • Change Requests als Prozess leben
    Sackgassen vermeiden, Änderungen dokumentieren, Auswirkungen beziffern und bestätigen. So entsteht eine verlässliche Grundlage für beide Seiten.
  • SLAs und Forecasts mit der Textaufgaben-Brille prüfen
    Sind die Formeln schlüssig, die Annahmen realistisch und die Pflichten beider Seiten umsetzbar? Kleine Ungenauigkeiten können große Wirkung haben.

 

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Autor*in

Johanna Peter

Johanna Peter ist Content Marketing Managerin bei even logistics. Mit einem Hintergrund in Journalismus und Kommunikation beschäftigt sie sich mit den Themen und Perspektiven, die den Logistikalltag prägen. Bei even führt sie Interviews mit Menschen aus der Praxis und bereitet ihre Einblicke für den Blog auf. Seit 2025 ist sie Teil des Teams und bringt einen unvoreingenommenen Blick auf die Branche mit – besonders auf die Fragen, die sich rund um Entscheidungen, neue Technologien und Veränderungen stellen. Im Mittelpunkt steht für sie der Austausch: verstehen, einordnen, weitersagen. Abseits von even liebt sie gute Geschichten – egal ob in Büchern, Podcasts oder unterwegs beim Reisen.


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