- Interview
- Leadership
Führung unter Druck: Ein Gespräch über Zweifel, Veränderung und Haltung – mit Karrierecoach Christian Runkel
Die Unsicherheiten hinter dem Führungsanspruch – und den Umgang damit.

In a nutshell: Auf LinkedIn geht es meistens um Erfolg, Zielstrebigkeit und starke Positionen. Zweifel? Die tauchen allenfalls als dramaturgisches Stilmittel auf – selten aber als ehrliche, sich verletzlich zeigende Einblicke. Karrierecoach Christian Runkel sagt: „Zweifel, Unsicherheit und Ängste sind alltäglich – und werden doch kaum thematisiert.“ In über 400 Gesprächen mit Führungspersönlichkeiten aus der Logistikbranche hat er erlebt, wie tief verankert das Tabu ist, über Unsicherheiten zu sprechen.
Im Interview mit even spricht er über die Frage, wann Zweifel ein Warnsignal sind – und wann ein Entwicklungstool. Er erklärt, warum viele Führungskräfte nicht am eigenen Team zweifeln, sondern am System darüber. Und er zeigt, wie man Unsicherheit als Teil eines reflektierten Karrierewegs begreifen kann.
Zweifel im Alltag: mehr als ein diffuses Gefühl
Ob es um Durchsetzungsfähigkeit, Resilienz oder das eigene Standing im Unternehmen geht – Zweifel schleichen sich oft da ein, wo der Führungsalltag uns fordert. „Manchmal reicht schon eine Situation, in der ich meine Interessen nicht durchsetzen kann“, so Runkel. „Kann ich mich durchsetzen? Kann ich dranbleiben, auch wenn es nicht gleich klappt?“– diese Fragen begleiten viele seiner Gespräche mit Führungskräften.
Besonders brenzlig wird es, wenn sich Überforderung breitmacht – ein Phänomen, das er besonders seit Ende 2023 verstärkt wahrnimmt. Die Ursachen? Oft komplex. Zwar spielen äußere Rahmenbedingungen wie politische Umbrüche oder technologische Entwicklungen eine Rolle. Doch im Zentrum steht die Persönlichkeit: „Die Art, wie wir mit Unsicherheit umgehen, ist stark geprägt durch unsere Sozialisation – familiär, schulisch, beruflich“, erklärt er.
Der mentale Saboteur in uns allen
Runkel nennt ihn augenzwinkernd den „mentalen Schweinehund“ – diese innere Stimme, die uns zuflüstert: Das klappt eh nicht. Jeder kennt sie. Und doch tun viele so, als wäre sie nicht da. „Wer behauptet, er habe das nicht, ist entweder narzisstisch oder unehrlich sich selbst gegenüber“, sagt er.
Diese Stimme meldet sich besonders laut, wenn wir auf unsicherem Terrain unterwegs sind – etwa bei neuen Aufgaben, unangenehmen Themen oder Situationen, in denen wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Dann drehen sich die Gedanken oft im Kreis: Bin ich gut genug? Werde ich das schaffen? Habe ich die richtigen Fähigkeiten?
Runkel sagt: Das ist menschlich. Aber es hilft, das zu erkennen – und zu entmachten.
Bin ich überhaupt geeignet für Führung?
Viele Führungskräfte stellen sich irgendwann die Frage: Bin ich hier richtig? Runkel rät zu einem ehrlichen Selbstcheck – mit Fragen wie: Liebe ich Menschen? Habe ich meine größten Erfolge allein oder im Team erlebt? Erreiche ich meine Ziele besser mit anderen – oder lieber für mich allein?
Diese Reflexion hilft, die eigene Haltung zu Führung besser zu verstehen.
„Es geht nicht darum, diese Fragen richtig zu beantworten – sondern ehrlich“, sagt er. Gleichzeitig betont er: Führungskompetenz hat weniger mit Managementfähigkeiten zu tun, als viele glauben. Und: Zweifel an der eigenen Eignung sind nicht zwangsläufig ein Zeichen von Inkompetenz – sondern oft Ausdruck eines Werte- oder Passungskonflikts.
Wer dabei merkt, dass die aktuelle Rolle nicht (mehr) zur eigenen Entwicklung passt, stellt sich oft eine weitere Frage: Gehe ich – oder bleibe ich?
Wenn Zweifel größer werden: Flucht oder Entwicklung?
„Alle zwei bis drei Jahre sollte man seine Karriere bewusst reflektieren“, sagt Runkel. Zweifel können dabei als Initialzündung dienen – solange sie nicht alleiniger Motivator für Veränderung sind. Wer aus einer inneren Flucht heraus den Job wechselt, läuft Gefahr, in dieselbe Falle zu tappen.
Sein Begriff dafür: „Fluchtmotivation“ – und die führt selten zu einer echten Lösung. Seine Empfehlung: erst analysieren, dann agieren. Was lief gut, was nicht? Welche Werte sind mir wichtig? Und: Wo möchte ich in zehn Jahren stehen?
Führung heißt auch: nach oben führen
Ein Punkt, den viele übersehen: Zweifel entstehen nicht nur im Umgang mit dem eigenen Team – sondern auch in der Beziehung zur nächsthöheren Führungsebene. „Die meisten Konflikte erlebe ich nicht mit Mitarbeitenden – sondern mit dem direkten Vorgesetzten oder der Organisationsebene darüber“, erklärt Runkel.
Wenn strategische Entscheidungen nicht zur eigenen Werteorientierung passen, geraten Führungskräfte unter Druck. Auch das kann der Auslöser für Wechselgedanken sein – oder für das Gefühl, in einer beruflichen Sackgasse zu stecken.
Was tun, wenn ein Wechsel nötig wird – oder erzwungen ist?
Nicht jede Veränderung beginnt mit einem selbst. Gerade im speditionellen Umfeld beobachtet Runkel aktuell eine zunehmende Anzahl von Trennungen auf Topmanagementebene – oft abrupt, oft ohne klare Perspektive für die Betroffenen. „Da werden erfahrene Führungskräfte in die Verantwortung geschickt – und kurz darauf aussortiert“, beschreibt er die Dynamik.
In solchen Momenten sei es entscheidend, nicht vorschnell zu reagieren, sondern innezuhalten. Was dann hilft? Ein klarer Blick zurück – und ein realistischer nach vorn. Runkel spricht von Vergangenheitsreflexion und Standortbestimmung als Grundlage für jede Entscheidung. Worin lag der eigene Erfolg bisher? In welchem Umfeld konnte man wirken? Welche Rollen lagen einem – und welche nicht?
„Es geht darum, nicht nur nach dem Nächstbesten zu greifen, sondern bewusst zu gestalten, was als Nächstes kommen soll“, sagt er. Gespräche mit einem neutralen Sparringspartner können dabei helfen – jemand, der sowohl den Markt kennt als auch persönliche Muster erkennt.
Zwischen Selbstkritik und Sichtbarkeit: Frauen in der Führung
Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Ja, sagt Runkel – vor allem in der Selbstwahrnehmung. Frauen sind oft reflektierter, aber auch kritischer mit sich selbst. „Sie nutzen ihre Potenziale nicht immer – und vermarkten sie zu selten“, so seine Beobachtung.
Woran das liegt? „Der mentale Saboteur ist bei Frauen oft lauter als bei Männern“, meint er – und das habe auch mit Sozialisierung zu tun. Gleichzeitig fehle es nicht an Vorbildern – vielmehr gehe es um den Blick nach innen statt außen. Netzwerke und Räume für gegenseitige Stärkung seien deshalb umso wichtiger.
Vier Schritte im Umgang mit Angst und Unsicherheit
Wie also umgehen mit der Angst, die falsche Entscheidung zu treffen – sei es im Alltag oder im Umbruch? Am Ende formuliert Runkel vier zentrale Impulse für Führungskräfte, die mit Zweifeln ringen:
- Angst akzeptieren – sie ist ein Signal, dass unser innerer Kompass aktiv ist.
- Fehlentscheidungen zulassen – sie sind Teil des Lernprozesses.
- Position beziehen – Entscheidungen spiegeln Haltung und Werte wider.
- Klarheit schaffen – warum treffe ich eine Entscheidung: aufgrund von Daten, aus dem Bauch heraus – oder weil es von mir erwartet wird?
Sein Appell: „Zweifel sind normal. Entscheidend ist, was wir daraus machen.“